Warum mich die Legosteinrampen mittlerweile mächtig nerven – Raul Krauthausen

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Immer mehr Projekte sammeln in Deutschland Legosteine zum Rampenbau. Vor Jahren hatte ich einmal damit gebastelt. Doch eine nachhaltige Lösung sind sie nicht. Darauf waren sie auch nie angelegt. Daher distanziere ich mich von diesen Fürsorgekampagnen – denn sie lenken von den eigentlichen Herausforderungen ab.

Neulich hatte ich einen ziemlich grellen Traum. Ich erinnere mich kaum, nur war es darin unangenehm und aufdringlich bunt, als wäre die Gegend in einen Farbkasten gefallen. Als ich dann aufwachte, musste ich feststellen, dass mancher Alptraum leider wahr wird:

„Bunte Lego-Rampen begeistern Deutschland“, da, und im SZ-Magazin war die Rede von „aufsehenerregend bunte Rampen“. Und dann war es da, das Déjà-Vu.

In Deutschland werden gerade an vielen Orten Legosteine gesammelt. Sie sollen zu Rampen zusammengebaut werden, um mehr Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer*Innen zu erreichen. Denn einerseits seien sie „bunt und fröhlich“ und andererseits „klären (sie) über Barrieren auf“. Spätestens ab diesem Zeitpunkt merkte ich, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist:

Denn von einer „Begeisterung des ganzen Landes“ für Rampen allgemein hatte ich bisher nichts gehört; jeder Tag beweist mir, dass er voller Barrieren ist. Auch diese aufgesetzte Leichtigkeit und Lustigkeit stört mich inzwischen sehr. Denn dass wir nur über Barrieren aufklären brauchen, damit sich die Lage bessert, glaube ich nicht mehr. Es muss darum gehen, die Barrierefreiheit als Grundrecht einzufordern statt ehrenamtlich mit Lego zu basteln!

Denn darauf fällt alles zurück. Leider auch auf mich:

2014 stellte ich im Netz ein paar Experimente von mir vor. Ich bastele ja gern, und technikfeindlich bin ich auch nicht. Ein 3D-Drucker begeisterte mich sofort, und ich versuchte mich am “Ausdruck” von Rampen, kam dann rasch auf das Zusammenstecken von Legosteinen (meine Rampen waren übrigens in schlichtem Rot, vielleicht bin ich nicht fröhlich genug). Es war eine provisorische Spielerei mit praktischem Hintergrund für handwerklich Interessierte. Deutschland begeistern sollte das nicht, und auf keinen Fall sind Legorampen, wie das SZ-Magazin fabuliert, „die Lösung für alles“!

Nun gibt es also diese Sammelaktionen hier und da, und alle verweisen auf mich. Ich habe aber mit all dem nichts zu tun. Für mich hat dies den Geschmack von Fürsorgeevents für Behindis. Ein bisschen Charity, natürlich bunt und fröhlich muss es sein, und wir haben uns alle lieb.

Da diese Aktionen vorwiegend von Menschen ohne Behinderung durchgezogen werden, drängt sich bei mir die Frage auf, ob sie die Menschen mit Behinderung gefragt haben, was sie davon halten. Schließlich ersetzt guter Wille nicht echte Teilhabe, und das Gespräch über uns statt mit uns hat in Deutschland eine alte, unglückselige Tradition. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da von oben herab ein bisschen Wohlfahrt auf die armen Behinderten regnet. Sowas mag das schlechte Gewissen ob der menschenfeindlich gestalteten Umgebung beruhigen, klärt aber nicht auf, sondern zementiert eher die schlechten Verhältnisse.

Denn echte Barrierefreiheit ist machbar, und sie geht über ein paar Bastelaktiönchen weit hinaus. Barrierefreiheit ist Auftrag für den öffentlich zugänglichen Raum, sie sollte Auflage sein. Doch da macht sich das angeblich begeisterte Deutschland seit Jahren einen schlanken Fuß. Was die Zugänglichkeit angeht, bleiben wir als Gesellschaft immer noch stecken.

Solche Legosteinaktionen verwalten also nur die Misere. Sie sind Placebo. Es ist, als ob der Nachbar in den Garten kommt, Blumen ausreißt – und dann anbietet, dass einem im Nachbarschaftstreff Papierblumen gebastelt werden.

Mit Legosteinen ist das Thema nicht erledigt.

An all die Gruppen, die nun angefangen sie zu sammeln, möchte ich appellieren:

Noch immer wird Barrierefreiheit beschrieben, als wäre dies besonders. Ein Geschenk oder eben eine Legosteinspende. Aber wenn in einem Rathaus die Toilette für alle zugänglich gemacht wird, dann ist dies in meinen Augen keine feierliche Meldung mit Fototermin in der Lokalzeitung wert, sondern schlichte Notwendigkeit.

Bitte hinterfragt diese Charityaktionen. Ich finde sie bevormundend. Und in der Zwischenzeit verwendet dafür bitte nicht mehr meinen Namen.

Dieser Artikel wurde zuerst von Paul Krauthausen auf seinem Blog veröffentlicht.
Bitte besucht ihn unter https://raul.de

Wer ist Raul Krauthausen?

Als Inklusions-Aktivist und Gründer der SOZIALHELDEN, studierter Kommunikationswirt und Design Thinker arbeitet Raul Krauthausen seit über 15 Jahren in der Internet- und Medienwelt.
Seit 2011 ist er Ashoka Fellow und engagiert sich bei den SOZIALHELDEN.
Neben dem klassischen Projektmanagement und strategischen Aufgaben, die er inne hat, vertritt er die SOZIALHELDEN-Projekte und deren Vision nach Außen.
2013 wurde Raul Krauthausen mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet und im Januar 2014 veröffentlichte er seine Biographie „Dachdecker wollte ich eh nicht werden – Das Leben aus der Rollstuhlperspektive“.
Seit 2015 moderiert er mit „KRAUTHAUSEN – face to face“ seine eigene Talksendung zu den Themen Kultur und Inklusion auf Sport1.
Für den im Mai 2019 erscheinenden Kinofilm DIE KINDER DER UTOPIE engagiert sich Krauthausen leidenschaftlich als Botschafter und Multiplikator.

Im Jahr 2020 startete er zahlreiche Podcasts.


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„Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir sehen wollen.“

– Mutter. Selbstständig. Designer. ITler. Redaktion. Ehrenamt. –